Oft werde ich gefragt, ob Faktorzertifikate eine Knock-Out-Barriere haben. Die Antwort ist: Nein. Aber sie haben einen ähnlichen Mechanismus, der die Papiere fast wertlos machen kann: den sogenannten Reset.
Er tritt zwar sehr selten auf, ist dann aber verheerend und kann sogar zum Totalverlust des Zertifikats führen.
Eines vorab: Solche Dinge wie Knock-Out und Reset sind nicht dazu da, um Sie als Anleger zu ärgern. Sie ergeben sich als reine Notwendigkeit aufgrund der Konstruktionsweise des jeweiligen Derivats. Bei einem Faktor-4-Zertifikat ergibt sich ein Problem, wenn der Basiswert mehr als 25 % innerhalb eines Handelstags verliert. Wir erinnern uns: Der jeweilige Tagesgewinn oder -verlust wird mit dem Faktor multipliziert abgerechnet. Bei einem Wertverlust von beispielswiese 30 % innerhalb eines Tages wären wir ohne Auffangregelung bei 120 % Verlust, mehr als das Zertifikat wert ist.
Wie funktioniert ein Reset bei Faktorzertifikaten?
Wann können so hohe Tagesverluste auftreten? Beispielsweise, wenn ein Unternehmen schlechte Quartalszahlen liefert, eine sehr schlechte Unternehmensnachricht veröffentlicht oder auch durch eine Short-Attacke, wie sie in der letzten Zeit häufiger vorkommen. Oder wir sehen einen Flashcrash am Markt. Am 24.8.2015 gab es beispielsweise einen extremen Intraday-Crash. Viele Werte notierten damals in der Spitze 20 bis 30% unterhalb des Schlusskurses des Vortags. Zwar holten die Aktien das meiste davon am gleichen Tag schon wieder auf. Wer an solchen Tagen ein Faktor 5-Zertifikat besitzt, hat allerdings ein Problem.
Wie funktioniert also der Reset? Eigentlich ganz einfach: Bei Unterschreiten einer bestimmten Barriere wird das Zertifikat während des Handelstages so abgerechnet, wie sonst am Tagesende.
Bei einem Faktor-4-Zertifikat liegt der Abstand für die Reset Barriere etwa 22% unterhalb des Schlusskurses vom Vortag. Durch einen Reset würde also ein Verlust von 88 % abgerechnet. Ausgehend davon würde dann intraday eine neue, niedrigere Basis gebildet und neue Kurse berechnet.
Ist ein Reset bei Faktorzertifikaten ein eingebautes Sicherheitsnetz?
Wenn ein Zertifikat einmal so weit gesunken ist, wird es schwer, damit wieder ins Plus zu kommen. Immerhin muss ein Zertifikat, das mit 88% Verlust abgerechnet wurde, 733% Gewinn machen, um überhaupt wieder auf Null zu kommen. Das schaffen nur die wenigsten Faktorzertifikate. Die Reset-Funktion als eingebautes Sicherheitsnetzt zu bezeichnen, wie es manchmal getan wird, halte ich deshalb für Augenwischerei.
Natürlich kann ein Faktorzertifikat auch komplett wertlos verfallen. Verkündet beispielweise ein Unternehmen abends schlechte Quartalszahlen und die Aktie eröffnet am nächsten Morgen 25% oder mehr unter dem Schlusskurs des Vortags, dann wäre ein Faktor-4-Zertifkat wertlos, ohne dass es die Chance auf einen Reset gibt.
Diese Extrembeispiele sollten Ihnen keine Angst vor Faktorzertifikaten machen. Sie kommen in der Praxis sehr selten vor. Ich denke jedoch, dass es wichtig ist, die Funktionsweisen dieser Derivate zu verstehen. Mein Eindruck ist, dass viele Anleger solche Papiere kaufen, ohne sich der verschiedenen Mechanismen und Gefahren bewusst zu sein, die ich in dieser und den letzten Ausgaben beschrieben habe.
Und eines sollte klar sein: Je höher der Hebel ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es früher oder später zu einem Reset oder wertlosen Verfall kommt. Faktorzertifikate mit Hebeln von 10 oder gar 25 sind reine Zockerei und haben nichts mit vernünftigem Investieren zu tun.
Welche Laufzeit hat ein Faktorzertifikat?
Eine letzte Frage, die mir im Zusammenhang mit Faktorzertifikaten oft gestellt wird, ist die nach der Laufzeit. Normalerweise haben alle Faktorzertifikate eine unbegrenzte Laufzeit. Natürlich kann ich unter den Tausenden Derivaten, die es gibt, nicht jedes einzelne kennen. Mir wäre aber kein Faktorzertifikat mit begrenzter Laufzeit bekannt. Trotzdem kann ein Emittent das Zertifikat kündigen, wenn sich die Weiterführung für ihn nicht mehr lohnt. Ein solches Kündigungsrecht ist aber bei allen Derivaten mit unbegrenzter Laufzeit enthalten.
Ich selbst habe viele Performance-Vergleiche geführt, welche Derivate besser abschneiden: Optionsscheine oder Faktorzertifikate? Mein Fazit dabei war, dass bei einer normalen Bewegung des Basiswerts mit einer Mischung aus Aufwärtsbewegung und Korrektur fast immer Optionsscheine eine etwas bessere Performance bieten.
Wann ist ein Faktorzertifikat vorteilhaft?
Faktorzertifikate spielen dann ihren Vorteil aus, wenn der Aufwärtstrend sehr gleichmäßig und ohne Korrekturen verläuft. Das Problem ist jedoch, dass man das nie im Voraus weiß. Außerdem sind Faktorzertifikate eine schöne Alternative, wenn Optionsscheine aufgrund einer extrem hohen Volatilität des Basiswerts sehr teuer sind.
Für mich werden Optionsscheine trotzdem immer die erste Wahl bleiben. Faktorzertifikate nehmen ich in mein Depot allenfalls als Beimischung auf, wenn es aus bestimmten Gründen sinnvoll ist.